vom 6. April 2005

Gegen das "Aussieben"- gegen das "Unten und Oben"

Kürzlich fand  in einem Gymnasium (Landkreis München) ein Elternabend der 8. Klassen statt. Anlass für diesen Elternabend waren die seit Schuljahresbeginn so dramatisch gesunken Leistungen der Schüler.

"Ja", meinte der Schulleiter auf Anfrage der besorgten Eltern, "wir sieben jetzt aus!"  Wie anders hört sich dagegen die Aussage einer heute im finnischen Schuldienst tätigen Lehrerin an, die als ehemalige Lehrerin an einer deutschen Schule im Vergleich der beiden Schulsysteme feststellt. "Wir hier in Finnland achten darauf, dass uns niemand durchs Netz fällt!"

Aussieben statt individuell zu fördern, das ist das Prinzip, nach dem unser deutsches selektives Schulsystem trotz heftiger Kritik leider noch immer "funktioniert", dies zu Lasten all der, die Schularten übergreifenden "Loser" und Gescheiterten. Den Redakteuren der SZ, diesmal H. Gertz, ist zu danken, dieses „Funktionieren“ einmal mehr in aller Deutlichkeit anzuprangern. Erfreulich ist auch, dass der Artikel, entgegen der landläufigen Meinung vom "faulen" Lehrer, dem Leser ein verändertes Bild vom Lehrerberuf ermöglicht.

"Es ist nicht gut, vor Wirklichkeiten zu tun, als ob sie nicht wären, sonst rächen sie sich." (Guardini)  Auf die Missstände der deutschen Schule übertragen, heißt das doch, es ist gut, sie zu sehen und sie in aller Eindringlichkeit öffentlich beim Namen zu nennen. Ich meine, der Artikel könnte dazu beitragen, dass sich die Gegner des gegliederten Schulsystems ermutigt fühlen und sich bei dem ein oder anderen Befürworter eine veränderte Sichtweise einstellt.

Und trotzdem, bei aller Zustimmung bleibt mir als Hauptschullehrerin am Ende ein bitterer Nachgeschmack. "Deutschland von unten", die Teilüberschrift kommt bei mir so an, als ob im Zustand der Krankheit jemand zu mir sagt: "Du siehst aber schlecht aus". Das wird mich nicht gerade aufbauen. Mit dem "Von unten", sehe ich mich mit meinen Hauptschülern und Kollegen abgestempelt und entmutigt, fern dem guten Gefühl "jemand zu sein", der für die Gesellschaft wichtig ist.

Nun schon im dritten Jahr besteht zwischen unserer Hauptschule und dem benachbarten Gymnasium eine Kooperation. Gerade eben haben wir gemeinsam im Bürgerhaus unserer Gemeinde ein Theaterstück aufgeführt. "Ob als Chorsprecher, als Schauspieler, jeder hatte das Gefühl wichtig zu sein", so die Meinung einer Gymnasiastin. Und wenn diese Zusammenarbeit trotz mancher Schwierigkeiten eine für alle Beteiligten positive Wirkung hat,  dann ist es gerade das Erleben, dass sich die Einteilung in "oben und unten" wenigstens für Minuten oder gar Stunden auflöst, und nur noch das zählt, was jeder- unabhängig vom Schulstatus-  in seiner Einmaligkeit zur Gemeinschaft beiträgt.