zum Artikel von Roland Preuss (19.05.2014)
Unter Schule und Hochschule
Miteinander voneinander lernen
„Ansonsten können die anderen Kinder vom Umgang mit Behinderten lernen“, schließt Roland Preuss seinen Artikel.
Ja, so ist es! Dazu die folgende Begebenheit:
Als Junglehrerin war ich damals an einer kleinen Dorfschule, einer einzügigen Grundschule im Landkreis Aichach. Die Grundschule lag am Dorfrand, umgeben von Wiesen und Feldern. Meine Schüler (Viertklässler) waren zumeist aus bäuerlichen Familien.
Ein Bekannter leistete damals seinen Ersatzdienst in einer Einrichtung für körperlich und geistig behinderte Kinder. Als er von seiner Tätigkeit in dieser Einrichtung erzählte, kam es mir spontan in den Sinn, ihn mit den behinderten Kindern zu uns an die Schule einzuladen."
So kam es, dass an drei Nachmittagen ein Bus an unserer Schule vorfuhr, die Gruppe, von acht Behinderten im Alter von etwa 9 bis 12 Jahren mit ihren Betreuern. Faszinierend für uns, die Erwachsenen, war zu beobachten, mit welcher Leichtigkeit, Offenheit die Kinder achtsam, ohne jegliche Scheu aufeinander zugingen, durch Zurufen der Namen beim Ballspielen, beim Klettern auf einen Hochstand, wie sich durch die Begleitung der Bauernkinder die Angst der Behinderten beim Betreten eines Kuhstalles legte. Für mich war es damals die erste Begegnung mit Behinderten, und ich durfte erleben, wie meine anfängliche Beklommenheit und Unsicherheit schwand. "Was unsere Kinder an diesen Nachmittagen lernen, bringen wir ihnen in Wochen und Monaten nicht bei", so die Äußerung einer Betreuerin.
35 Jahre später werde ich zum Klassentreffen eingeladen. Meine ehemaligen Schüler sind inzwischen erwachsene Frauen und Männer, viele schon Mütter und Väter. Ein Ehemaliger, ein gestandenes Mannsbild, hält eine Ansprache. Er erzählt vom Besuch der Behinderten, kann sich noch genau daran erinnern, als ich ihn bat, weil er der kräftigste Junge in der Klasse war, ein körperlich starkes Mädchen im Kuhstall beim Berühren einer Kuh zu halten. Er erinnert sich sogar noch an ihren Namen. Begleitet wird seine Ansprache durch lebhafte Zustimmung von allen Seiten: "Und ich weiß noch genau", ergänzt ein anderer Ehemaliger, "wie ein Junge, der mit mir auf den Hochstand geklettert ist, plötzlich Höhenangst bekam, und ich ihm gezeigt habe wieder herunterzusteigen."
Unter stürmischen Applaus beendet der Redner seine Ansprache mit den Worten: "Und damit haben wir soziales Verhalten gelernt. Danke!"