zum Artikel von Heribert Prantl
Erschienen am 23.01.2014

"Reif für das Leben in Freiheit"
Die gute Nachricht: Bundesweit sinkt die Zahl der Häftlinge. Ein Entwurf für ein Landesresozialisierungsgesetz, welches die guten Resozialisierungsmaßnahmen aller Bundesländer zusammenfasst, liegt im Entwurf vor. Danke, den Verfassern dieses Gesetzes! Sie sind überzeugt, so fasst Heribert Prantl in seinem Artikel zusammen, "Reif für das Leben in Freiheit wird man in der Freiheit…Der Weg zu dieser Reife soll künftig gerader sein… der braucht stabile Hilfe".

Wie Resozialisierungsmaßnahmen als Schritt zur Vorbereitung auf das Leben in Freiheit sinnvoll aussehen, erlebe ich seit dreieinhalb Jahren an einem Fachkrankenhaus am westlichen Stadtrand von München. Zumeist straffällig gewordene Suchtkranke im Alter von 18 bis 50 Jahren machen dort eine vier- bis sechsmonatige Therapie zur Stärkung der Selbstkontrolle, der Selbstverwaltung und schließlich zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Dabei haben die Klienten Entscheidungsfreiheit bei der Wahl der hausinternen Aufgaben, bei der Gestaltung ihrer Freizeit, die es ihnen auch ermöglicht, die Einrichtung in Absprache mit den Therapeuten z.B. auf Arbeitsplatzsuche oder zum Familienbesuch am Wochenende zu verlassen. Einstimmen auf den "Ernstfall Freiheit".

Meine Aufgabe ist es, gegen Ende der Therapie mit den Klienten ein Bewerbungstraining durchzuführen. Bevor wir im Rollenspiel eine reale Bewerbungssituation simulieren, führe ich mit den Klienten ein Vorgespräch. Durchgängig berichten alle, wie wichtig für sie die Struktur und vor allem die Beziehung zu den menschlich und fachlich hervorragenden Therapeuten ist, insbesondere die vertrauensvolle Beziehung zu dem während der Therapie festen Bezugstherapeuten. "Urvertrauen", für viele Klienten eine ganz neue Lebenserfahrung.

In diesem Vorgespräch kommen wir auch auf die Schullaufbahn des Klienten zu sprechen. Die Mehrheit der Klienten berichtet, ihr Alkohol-, Drogenproblem hat sich meist schon in der frühen Jugendzeit eingestellt.

Aus Langzeitstudien zum Thema Resilienz wissen wir, wie wichtig verlässliche und stabile Bezugspersonen in der Kindheit, im Jugendalter sind. Das kann, muss aber keineswegs immer die Mutter oder der Vater sein. Das kann eine Großmutter, ein Lehrer, ein Nachbar oder ein Trainer im Sportverein sein. „Wichtig ist, dass es im Leben mindestens einen Menschen gegeben hat, der an das Kind geglaubt und ihm das Gefühl geben hat "Ich bin bedeutsam", ein Mensch, der an einen glaubt, der sich interessiert, Fragen stellt und sich Zeit für einen nimmt". ("Überlebenskünstler-Wie psychische Widerstandskraft entsteht", BR-Bayern 2, Mittwoch, 18.12. 2013, 9.30 Uhr, Autorin Susanne Poelchau).

Mit wenigen Ausnahmen mangelt es diesen Menschen an solchen verlässlichen und stabilen Beziehungen in Kindheit und Jugend. Weder bei den hilflosen Eltern und bedauerlicherweise auch nicht in unseren Schulen haben die, in ihrer Sucht gefangen Jugendlichen, Halt gefunden. Und wenn denn ein Lehrer oder ein Schulleiter das Problem bemerkt und sie darauf angesprochen hat, dann waren die, so wird glaubhaft berichtet "völlig überfordert".

Die Verfasser des Landesresozialisierungsgesetzes sehen eine Chance: Die durch sinkende Gefangenenzahlen bedingten sinkenden Kosten für den Strafvollzug könnten äußerst sinnvoll umgesteuert, umgeschichtet werden in die Bewährungshilfen. Genial! Oder auch, das wäre mein Vorschlag, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, ließe sich ein Teil der eingesparten Gelder aus Strafvollzug und Therapie (etwa 20.000 €) präventiv für den Einsatz von für die Suchtproblematik eigens gut ausgebildeten Lehrer, Erzieher, Sozialpädagogen, Jugendtherapeuten an unseren Schulen einsetzen.